NEW YORK/SAN JOSE (dpa-AFX) - Trotz zahlreicher Berichte über den Kahlschlag, den die Corona-Krise in den Auftragsbüchern der Kreativ-Branche hinterlassen hat, sieht es bei einem ihrer größten Software-Dienstleister Adobe bisher so aus, als gäbe es keine Pandemie. Der US-Konzern, der vor allem im Bereich der Fotobearbeitung und im Layout den weltweiten Standard setzt, zeigt mit seinem Abo-Geschäftsmodell, wie man Krisen kurzfristig abfangen kann. Was im Unternehmen los ist, was Analysten sagen und wie die Aktie sich entwickelt.

WAS BEI ADOBE LOS IST:

Mit der Umstellung ihres Erlösmodells von Software-Paketen auf Abonnements im Jahr 2013 gehörten die Amerikaner zu den ersten, die einen harten Bruch mit dem zuvor vorherrschenden Lizenz-Modell vollzogen: Statt einmaligem Kauf nun monatliche Zahlungen. Zum Vergleich: Microsoft bietet neben der Abo-Version seines EDV-Pakets Office 365 weiterhin Einzellizenzen für Office 2019 an. Adobe-Vorstandschef Shanttanu Narayen war und ist der Kopf hinter dem Strategiewechsel, der für den Softwarekonzern zunächst wenig Gutes zur Folge hatte. Im Jahr 2013 musste der Konzern beim Umsatz deutlich zurückstecken, da die Abo-Erlöse wegbrechende Lizenzzahlungen noch nicht kompensieren konnten.

Das im Mai zu Ende gegangene zweite Quartal hingegen konnte sich sehen lassen. Mit einem Umsatzwachstum im Jahresvergleich von rund 14 Prozent auf 3,13 Milliarden US-Dollar (2,76 Mrd Euro) und einem Sprung beim Nettogewinn von 633 Millionen auf 1,1 Milliarden US-Dollar hätte man fast den Anschein gewinnen können, die Corona-Krise ginge spurlos an Adobe vorüber.

Doch der Konzern verwies in seiner Risikobewertung bereits auf die wesentlichen Veränderungen, die die Pandemie für das Unternehmen und seine Kunden mit sich gebracht habe. Dies sei zwar noch nicht all so sehr in der Bilanz abzulesen, werde sich aber möglicherweise in der Zukunft zeigen. Der Ausblick auf die künftige Finanzsituation bleibt laut Vorstand daher unsicher. Besonders bei Aufträgen durch Unternehmen und bei Beratungsleistungen habe es im Verlauf des zweiten Quartals bereits Verschiebungen gegeben.

Für das Gesamtjahr traute sich der Softwarekonzern bisher keine neue Prognose zu. Die alte hatte er bei der Vorstellung der Quartalszahlen Mitte Juni zurückgezogen. Einen Ausblick auf das laufende dritte Quartal hingegen gab es: Demnach plant das Unternehmen zwischen Anfang Juni und Ende August einen Umsatz von ungefähr 3,15 Milliarden US-Dollar und einen Gewinn je Aktie von 1,78 US-Dollar zu erwirtschaften. Dies entspräche im Vergleich zum Vorjahresquartal einem Plus von gut 11 Prozent beim Umsatz und rund ein Zehntel beim Gewinn.

WAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die Corona-Pandemie habe bei Adobe nur "leichte Bremsspuren" hinterlassen, urteilt Analyst Ingo Wermann von der DZ Bank. "Der US-Softwarehersteller verfügt über ein wachstumsstarkes Geschäftsmodell, dass auch in Zeiten der Corona-Pandemie sehr erfolgreich ist." Zwar habe der Konzern im zweiten Quartal das geringste Umsatzwachstum seit 19 Quartalen ausgewiesen, das sei aber angesichts der Umstände mit 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr immer noch "sehr respektabel".

Die steigende Zahl von Arbeitnehmern im Homeoffice spiegelt sich in einer hohen Nutzung von PDF-Dateien ("Acrobat") wider, schreibt Wermann. Allein die Anzahl der bearbeiteten und geteilten "Acrobat"-Dokumente wuchs auf Jahressicht um 50 Prozent. Die Lösung "Adobe Scan" wies ein Plus von 66 Prozent an Installationen auf mobilen Geräten gegenüber dem Vorjahr auf. Die Nutzung des Produktes "Sign", welches die Abgaben von elektronischen Unterschriften ermöglicht, stieg seit Beginn des Geschäftsjahres (Dezember 2019) sogar um 175 Prozent. Dieser positive Trend setze sich wohl fort, wenn auch etwas abgemildert.

Das Analysehaus Jefferies vergleicht die Adobe-Führung mit erfahrenen Piloten, die geschickt durch Turbulenzen fliegen können. In Corona- und damit Home-Office-Zeiten erweise sich erweise sich die Adobe-Software als entscheidend für Online-Inhalte, papierlose Workflows und digitale Kundenerfahrungen, schreibt Analyst Brent Thill von Jefferies. Er glaubt daran, dass Adobe weiter Marktführer bleibt. Dennoch blieben Unsicherheiten angesichts der Pandemie.

Von den 20 bei Bloomberg gelisteten Analysten plädieren fast alle für einen Kauf der Aktie, nur ein Experte würde das Papier derzeit eher verkaufen. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 428 Dollar und damit deutlich unter dem aktuellen Wert.

WIE SICH DIE AKTIE ENTWICKELT:

Der Aktienkurs von Adobe kennt schon seit dem erfolgreichen Umstieg auf das Abo-Modell eigentlich nur noch den Trend nach oben. Seit Mitte 2016 hat sich die Bewertung um rund 380 Prozent gesteigert. Zum Ende des Jahres 2019 hin beschleunigte sich die Entwicklung merklich. Zwischen Mitte Oktober und Mitte Februar stieg der Kurs um rund 47 Prozent auf ein Zwischenhoch von 383 US-Dollar, um im Zuge des allgemeinen Abwärtssogs bis Mitte März auf 255 US-Dollar abzustürzen.

Doch bereits früh in Juni überschritt der Marktpreis der Anteilscheine bereits wieder die Marke von 400 Dollar. Am Freitag erreichte der Kurs dann mit 467,21 US-Dollar ein Rekordhoch und schloss nur leicht darunter.

Mit einer Marktkapitalisierung von derzeit rund 222 Milliarden US-Dollar liegt Adobe noch vor dem US-Cloudanbieter Salesforce mit rund 181 Milliarden US-Dollar und dem deutschen Software-Vorzeigekonzern SAP mit umgerechnet 188 Milliarden US-Dollar (166 Milliarden Euro)./ssc/knd/men/he