DARMSTADT (dpa-AFX) - Nach milliardenschweren Einkaufstouren in den vergangenen Jahren sieht sich der Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck KGaA mittlerweile bestens aufgestellt. Das Darmstädter Dax-Unternehmen will sich deshalb vorerst nicht mehr auf große Zukäufe konzentrieren, sondern stattdessen das Wachstum aus eigener Kraft vorantreiben und seine Schulden zügig abbauen, wie der Konzern am Mittwoch anlässlich seines Kapitalmarkttages mitteilte. Helfen soll dabei auch eine strenge Kostendisziplin, die derzeit überall im Konzern greife.

Konzernchef Stefan Oschmann bescheinigte auf der Investorenveranstaltung Merck "hervorragende Zukunftsaussichten". Der Konzern stehe mit der Pharmasparte, dem Laborgeschäft und der Sparte für Spezialmaterialien auf "drei starken Pfeilern". So sei auch in den kommenden Jahren trotz eines anspruchsvollen Marktumfeldes mit weiterem profitablen Wachstum zu rechnen Treiber seien dabei neue Arzneien, das Halbleitergeschäft sowie das Geschäft mit Produkten und Dienstleistungen für die Arzneimittelherstellung.

Ab dem Jahr 2022 seien zwar größere Zukäufe nicht ausgeschlossen, "aber angesichts unseres starken Geschäftsportfolios ist es derzeit wahrscheinlicher, dass wir unsere Geschäfte dann eher gezielt durch vermehrte kleinere bis mittelgroße Übernahmen ergänzen", sagte Oschmann. Finanzchef Marcus Kuhnert erläuterte, das Unternehmen stehe inzwischen nicht mehr so unter Druck weiter zuzukaufen.

Merck hatte in den vergangenen mehr als zehn Jahren große Übernahmen wie die des Schweizer Biotechunternehmens Serono, des Zulieferers Millipore und des US-Laborausrüsters Sigma Aldrich gestemmt. Jüngst kamen der US-Halbleiterzulieferer Versum Materials hinzu sowie der kalifornische Materialspezialist Intermolecular. Damit stärkte Merck seine Sparte für Spezialmaterialien, mit der der Bereich auf das wachstumsstarke Halbleitergeschäft ausgerichtet werden soll.

Dies zahlt sich bereits aus: Die Halbleitermaterialien sind derzeit der stärkste Wachstumstreiber der gesamten Geschäftsbereichs. Dabei kommt die Integration von Versum schneller voran als gedacht, sodass Merck inzwischen von höheren Synergieeffekten bis zum Jahr 2022 ausgeht als ursprünglich veranschlagt.

Gleichzeitig macht sich die breite Aufstellung des Konzerns laut dem Management auch in der Covid-19-Krise bezahlt. Merck profitiert beispielsweise von der Nachfrage in Zusammenhang mit der Forschung nach einem Impfstoff. Seit Juni erholen sich auch andere Geschäftsbereiche wieder von den vorübergehenden Einschränkungen durch die Pandemie, etwa bei den Verkäufen mit der MS-Tablette Mavenclad und im Geschäft mit Fruchtbarkeitsbehandlungen. Auch für das kleinere Geschäft mit Farbpigmenten etwa für Autolacke und die Kosmetikindustrie sei im zweiten Halbjahr mit einer Erholung zu rechnen. Daher rechnet das Management damit, dass das Ergebniswachstum sich in der zweiten Hälfte konzernweit beschleunigt.

Für das Gesamtjahr bestätigte Merck seine Finanzziele, die seit der Halbjahresbilanz etwas optimistischer formuliert sind: Demnach ist für das Gesamtjahr weiterhin ein Umsatz von 16,9 bis 17,7 Milliarden Euro angepeilt sowie ein bereinigter Betriebsgewinn (Ebitda pre) von 4,45 bis 4,85 Milliarden Euro Die Vorjahreswerte liegen bei 16,2 Milliarden Euro für die Erlöse und rund 4,4 Milliarden beim bereinigten Betriebsgewinn.

In der Pharmasparte hält Merck an seinem Ziel fest, durch neue Medikamente im Jahr 2022 rund zwei Milliarden Euro Umsatz erzielen zu wollen. Weiteres "signifikantes Wachstumspotenzial" biete sich angesichts "vielversprechender Entwicklungsprojekte. Dabei setzt der Konzern neben neueren Präparaten wie Mavenclad und die Krebstherapie Bavencio etwa auf das noch in der Entwicklung befindliche MS-Mittel Evobrutinib und den onkologischen Wirkstoff Tepotinib. Letzteres wurde bereits in Japan zur Anwendung zugelassen, in den USA hat die zuständige Arzneimittelbehörde FDA eine beschleunigte Prüfung des Zulassungsantrags zugesagt. Starke Aussichten bieten sich laut Merck mittelfristig vor allem in der Laborsparte, für die das Management die Messlatte nun noch leicht höher legte.

Im Geschäft mit Spezialmaterialien sollen die Umsätze organisch mittelfristig um drei bis vier Prozent jährlich anziehen, wobei die Halbleitergeschäfte noch stärker wachsen sollen. Sie stehen mittlerweile für mehr als die Hälfte des Spartenumsatzes. Mit der Konzentration auf dieses Segment begegnet Merck der Schwäche im Geschäft mit Flüssigkristallen etwa für Smartphones. Der Bereich leidet seit einigen Jahren unter zunehmenden Preisdruck durch asiatische Konkurrenz, weshalb Merck hier künftig jährlich mit anhaltenden Umsatzrückgängen rechnet./tav/ssc/stk