Berlin (Reuters) - ProSiebenSat.1 übernimmt weitere Teile seiner angeschlagenen Tochter Jochen Schweizer und könnte mittelfristig das gesamte Geschäft schlucken.

Man habe sich mit dem gemeinsamen US-Investor General Atlantic geeinigt, dessen Anteil an der Gutschein-Tochter für einen Euro zu übernehmen, sagte der Chef des bayerischen Fernsehkonzerns, Bert Habets, am Freitag. Somit halte ProSiebenSat.1 nun direkt 89,9 Prozent von Jochen Schweizer mydays. Bis zum 31. März 2025 könnten die Anteile von 10,1 Prozent des Mitgesellschafters Jochen Schweizer persönlich aufgrund einer Vereinbarung erworben werden. Eine Entscheidung darüber gebe es derzeit noch nicht.

ProSiebenSat.1 hatte am Donnerstag auch angekündigt, die Dividende massiv zu kürzen. Vorstand und Aufsichtsrat schlagen der Hauptversammlung 2023 nur rund elf Millionen Euro vor, nach 181 Millionen im Vorjahr. Es sollen 0,05 (Vorjahr: 0,80) Euro je Aktie ausgeschüttet werden und auch künftig soll weniger Geld an die Anteilseigner gehen, dafür mehr in Investitionen. Das kam bei den Anlegern gar nicht gut an. Die ProSieben-Aktie brach zeitweise um fast 19 Prozent ein und steuerte auf den größten Tagesverlust seit 15 Jahren zu. "ProSieben hat seine Aktie als Dividendentitel gekillt", sagte ein Händler. Es gebe keine Gründe mehr, die Papiere zu halten.

Zudem trennt sich ProSiebenSat.1 mit sofortiger Wirkung und in gegenseitigem Einvernehmen von Finanzchef Ralf Gierig. Der 57-Jährige war seit über 20 Jahren beim Unternehmen und seit Anfang 2022 im Vorstand. Sein Nachfolger soll zum 1. Mai Martin Mildner (53) werden, der zuletzt Finanzvorstand von United Internet war.

Das maue Werbegeschäft drückte Gewinn und Erlöse 2022. So sank der Umsatz um 7,4 Prozent auf 4,16 Milliarden Euro und der operative Gewinn (bereinigtes Ebitda) fiel um fast 20 Prozent auf 678 Millionen Euro. Für dieses Jahr setzt der Konzern auf einen stagnierenden Umsatz von 4,1 Milliarden Euro, der um 150 Millionen Euro nach oben oder unten abweichen könne. Der operative Gewinn dürfte auf etwa 600 Millionen (plus/minus 50 Millionen) Euro sinken.

Für Probleme sorgten zuletzt regulatorische Fragen zum Geschäft von Jochen Schweizer mydays rund um Gutscheine für Erlebnisse wie etwa Fallschirmsprünge oder Restaurantbesuche. Deshalb hatte ProSiebenSat.1 seine Bilanz-Vorlage verschieben müssen und wäre fast vorübergehend aus dem MDax geflogen. Es war die Frage aufgekommen, inwieweit Teile der Geschäftstätigkeit von Jochen Schweizer und mydays unter das sogenannte Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) fallen. Der Konzern erklärte, das Produktangebot sei im März angepasst worden und könne ohne Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weiter betrieben werden.

Derzeit stimmten beide Firmen Details mit der BaFin ab, um die Gutscheinprodukte abzuwickeln, die vor der Änderung ausgegeben wurden und einer Erlaubnis der BaFin nach dem ZAG bedurften. "Gleichzeitig läuft aktuell bei ProSiebenSat.1 eine unabhängige interne Untersuchung durch eine externe Rechtsanwaltskanzlei mit dem Ziel, etwaiges Fehlverhalten aufzuklären", erklärte der Fernsehkonzern. "Zudem hat die Staatsanwaltschaft München I einen Beobachtungsvorgang eingeleitet", sagte Habets. Die Behörde habe von sich aus auf die Ankündigung von ProSiebenSat.1 reagiert, wegen der offenen Fragen rund um Jochen Schweizer die Bilanz-Vorlage zu verschieben. Man kooperierte umfassend mit den zuständigen Behörden. "Die möglichen finanziellen Belastungen für den Konzern im Zusammenhang mit den behördlichen Untersuchungen sind derzeit noch nicht abschätzbar, könnten aber erheblich sein", warnte Habets. Eine mögliche Summe könne er nicht nennen. Er gehe aber nicht davon aus, dass sich das auf die Jahresprognose 2023 auswirken werde.

Ende März hatte der Konzern überraschend den Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt. Habets sagte, man könne auch jetzt noch keine konkrete Zahl nennen. Noch im ersten Halbjahr sollte es hier Klarheit geben.

(Bericht von Klaus Lauer, Mitarbeit: Daniela Pegna; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)