LONDON (dpa-AFX) - Die Eurozonen-Banken dürfen trotz der sich zuletzt verschärfenden Corona-Krise wohl bald wieder Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten. Ab dem kommenden Jahr werde dies wieder erlaubt sein - zumindest dann, wenn die Banken die Aufseher davon überzeugen, dass sie genügend Kapital haben, um die Folgen der Pandemie ausbügeln zu können, sagte EZB-Aufsichtsvizechef Yves Mersch der "Financial Times" am Mittwoch. Er bekräftigte damit seine Aussagen aus dem September, obwohl sich die Corona-Pandemie seitdem wieder drastisch verschärft hat. Mersch ist noch bis Ende 2020 der amtierende Vize-Chef der EZB-Bankenaufsicht.

Er sei zwar besorgt, dass die Banken möglicherweise zu viel des Kapitals ausschütten, das eigentlich als Puffer für Corona-Risiken gedacht ist, sagte er. Aber es dürfte schwierig werden, den generellen Dividendenstopp über das Jahresende hinaus beizubehalten. Er führte hier rechtliche Unsicherheiten sowie den möglichen Wettbewerbsvorteil von Banken aus Großbritannien und den USA an, wenn die dortigen Aufseher direkte Gewinnbeteiligungen für die Aktionäre sowie Aktienrückkäufe wieder erlauben. Die Entscheidung darüber, ob eine Bank wieder Kapital an ihre Anteilseigner ausschütten darf, soll wieder vom Einzelfall abhängen.

Im September hatte er gesagt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Empfehlung zum Dividendenstopp überprüfen und womöglich zu einer flexibleren Vorgehensweise übergehen werde. "Diese Empfehlung ist und muss außergewöhnlich und befristet bleiben", sagte er bei einem Finanzforum in Berlin. Die Kontrolleure würden dann zu ihrer üblichen Praxis zu zurückkehren, geplante Ausschüttungen an die Aktionäre im Einzelfall zu überprüfen. Es sei denn, die Aufsicht komme zu dem Schluss, dass die Kapitalprognosen der Banken weiterhin von hoher Unsicherheit geprägt seien.

Kurz darauf berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Sache vertraute Personen, dass die Banken in der Eurozone auf ein baldiges Ende des faktischen Dividendenstopps in der Corona-Krise hoffen können. Im Aufsichtsgremium der Europäischen Zentralbank (EZB) seien mehrere Mitglieder inzwischen zu der Ansicht gelangt, dass eine noch längere Aussetzung der Dividendenzahlungen mehr schaden als nützen würde, hieß es in dem Bericht von Mitte September.

Die EZB, die seit November 2014 die größten Banken und Bankengruppen im Euroraum direkt beaufsichtigt, hatte die Finanzinstitute im Euroraum schon kurz nach Beginn der Pandemie aufgefordert, vorerst auf die Ausschüttung von Dividenden und auf Aktienrückkäufe zu verzichten. Viele Banken strichen in der Folge geplante Gewinnausschüttungen für das Geschäftsjahr 2019 oder verringerten diese zumindest. Zunächst galt der Aufruf nur bis zum 1. Oktober, wurde aber zwischenzeitlich bis 1. Januar 2021 verlängert.

Die Argumentation, das Geld durch den Dividendenbann zusammenhalten zu müssen, scheint inzwischen nicht mehr jeden bei der Aufsicht zu überzeugen. Die Befürworter von Dividenden argumentieren, dass gerade Banken mit dicken Kapitalpolstern ihre Aktionäre bei der Stange halten müssten. Nur so könnten die Institute langfristig lebensfähig bleiben. Da sich die Lage der Banken nach einem düsteren ersten Halbjahr vor allem beim Blick auf die Vorsorge für mögliche Kreditausfälle zuletzt etwas gebessert hat, haben viele Banken viel mehr Kapital an Bord, als es die Aufseher eigentlich vorschreiben./zb/men/mis