Zwar dürfte seine Liberaldemokratische Partei an der Macht bleiben - mit Hilfe des langjährigen Koalitionspartners Komeito. Doch könnte die nationalkonservative und wirtschaftsfreundliche LDP Umfragen zufolge ihre eigene Mehrheit im Unterhaus verlieren, und die Komeito, die eher auf Sozialstaat und Pazifismus setzt und die Atomkraft kritisch sieht, erhielte mehr Gewicht. Für LDP-Chef Kishida, der erst seit Anfang Oktober Ministerpräsident ist, wäre das ein herber Schlag.

Für eine eigene Mehrheit im Unterhaus benötigt die LDP 233 der insgesamt 465 Sitze. Bei der vorangegangenen Wahl errang sie 276. Seit 1955 stellt die Partei mit nur wenigen Jahren Unterbrechung die Regierungen in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Oft waren die Ministerpräsidenten viele Jahre im Amt. Kishidas direkter Vorgänger Yoshihide Suga jedoch hatte nach etwa einem Jahr aufgegeben, auch wegen Kritik an seiner Politik im Kampf gegen das Coronavirus.

Schneidet Kishida vergleichsweise schlecht ab, könnte das eine Rückkehr zu einer Ära bedeuten, in der die Regierungschefs häufig wechselten. Ein Verlust von mehr als 40 Mandaten würde wegen der Aussicht auf eine geringere Stabilität den Aktienmarkt zumindest kurzfristig belasten, schätzen Analysten von Morgan Stanley MUFG. Zudem könne die Opposition teils stark zulegen. Die wichtigsten Oppositionsparteien sind die Konstitutionell-Demokratische Partei (CDPJ), die Kommunistische Partei (CPJ), die Erneuerungspartei (JIP) und die Demokratische Volkspartei (DPFP).

Eine gewichtigere Komeito als Koalitionspartner würde zum Beispiel Kishidas Bemühungen erschweren, die Verteidigung zu stärken. Die LDP aber hat erstmals zugesichert, dass Japan zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für das Militär ausgibt - das wären rund 100 Milliarden Dollar. Damit würde das Land, das nicht in der Nato, aber ein enger Verbündeter der USA ist, seine langjährige Politik aufgeben, die Militärausgaben auf maximal ein Prozent des BIP zu begrenzen. Diese Obergrenze hat viele Jahre lang Befürchtungen im In- und Ausland gemindert, Japan könnte zum Militarismus früherer Zeiten zurückkehren.

Andere Experten schätzen, dass Kishida und die LDP eine eigene Mehrheit gewinnen. Hierfür bestehe eine Chance von 65 Prozent, sagt Ryutaro Kono, Chefökonom bei BNP Paribas in Japan. Die Koalition aus LDP und Komeito könnte eine "absolut stabile Mehrheit" von 261 Sitzen und damit die Kontrolle über alle Parlamentsausschüsse erringen. So wäre das Durchsetzen von Gesetzesentwürfen sehr viel leichter.

Allerdings könnte die oppositionelle reformorientierte Erneuerungspartei JIP, die derzeit elf Mandate hat, deutlich zulegen. In Umfragen kommt die JIP auf bis zu 36 Sitze und wäre damit drittstärkste Kraft im Unterhaus.

STREITPUNKT ATOMKRAFT

Kishida hat einen "neuen Kapitalismus" ausgerufen. Was genau sich dahinter verbirgt, ist noch unklar. Erwartet wird, dass Kishida auf eine expansive Fiskalpolitik und Maßnahmen zur Vermögensumverteilung setzt. Auch die Atomkraftwerke sollen wieder hochgefahren werden. Dagegen sind aber angesichts der Kernschmelze von Fukushima vor zehn Jahren, die zur Stilllegung der AKW zwang, rund 40 Prozent der Japanerinnen und Japaner. Seit der Katastrophe ist nur ein Drittel der 33 betriebsbereiten Reaktoren am Netz.

Die Debatte über die Atomkraft ist brisant. Entscheidend wird sein, wie viele Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben. Eine hohe Wahlbeteiligung begünstige normalerweise die Opposition, sagt Koichi Nakano, Politologe an der Sophia Universität. Umfragen zufolge dürfte sie etwas über dem Rekordtief der Nachkriegszeit liegen, das im Jahr 2014 mit 52,66 Prozent erreicht wurde. Die zweitniedrigste Wahlbeteiligung lag bei der Unterhauswahl 2017 bei 54 Prozent. Vor allem die Jüngeren blieben damals der Abstimmung fern: Nur drei von zehn Wahlberechtigten zwischen 20 und 24 Jahren nahmen an der Wahl teil.